Skip to main content

Drei Fragen an …

27. Juli 2025

Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt Bayern ist ein Bürgerrechtsverband und vertritt Interessen und Belange von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen sowie weiteren queeren Menschen (LSBTIQ*) mit dem Ziel, die gesellschaftliche Anerkennung von Vielfalt, Menschenrechten und Respekt voranzutreiben. Der Verband wirkt in Politik, Medien und Öffentlichkeit und vertritt queere Belange auf Landes- und Bundesebene.

Bei den Themen, die auch die Arbeit des Bayerischen Bündnisses für Toleranz betreffen, stehen wir immer wieder in gutem Austausch. Hierzu haben wir Markus Apel, den Pressesprecher und Mitglied im Landesvorstand des LSVD+ Bayern befragt.

Sindy Winkler: Wie hat sich die Lebensrealität queerer Menschen in Bayern in letzter Zeit verändert – sehen Sie eher Fortschritte oder Rückschritte, und welchen Einfluss haben gesellschaftliche und politische Debatten dabei?

Markus Apel: Queere Menschen sind sichtbarer denn je – auch in Bayern und dank dem Engagement von diversen Vereinen, Verbänden und Engagierten. Vor zehn Jahren kannten viele, die heute selbstverständlich über Queerpolitik sprechen, weder das Wort „queer“ noch die Abkürzung „LSBTIQ*“. Das ist ein Fortschritt. Was wir allerdings auch erleben ist, dass mit zunehmender Sichtbarkeit und dem Ankommen in der gesellschaftlichen Mitte, Diskriminierung und Gewalt nicht verschwinden.

Im Gegenteil: Steigende Hassgewalt auf der Straße, politische Hetze und internationale finanzstarke Desinformationskampagnen greifen aktiv die Selbstbestimmung und Freiheit queerer Menschen an. Für rechtsextreme und andere populistische Akteur*innen sind LSBTIQ* Spielball und Zielscheibe zugleich. Nachdem im vergangenen Jahrhundert vor allem Homosexuelle als Bedrohung galten, sind es heute transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen. Obwohl wissenschaftlich bewiesen ist, dass es mehr als zwei menschliche Geschlechter gibt und Queerness natürlich ist, wird tagtäglich ein Gesellschafts- und Menschenbild reproduziert, dass Heterosexualität und die binäre Aufteilung nach Mann und Frau als „normal“ und Norm festschreibt.

Dabei spiegelt sich das noch nicht einmal im deutschen Recht wider. Seit 2017 ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland möglich, das Bundesverfassungsgericht hat 2017 eindeutig festgestellt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und entsprechend ermöglicht das Selbstbestimmungsgesetz seit November 2024 einen unbürokratischen Geschlechtseintrag für queere Menschen ohne Zwangsbegutachtung und lange bürokratische Verfahren. All das zeigt uns: Recht und Wissenschaft sind das Eine, gesellschaftliche Akzeptanz und Alltag das Andere.

Es gibt nach wie vor rechtliche Diskriminierung von Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht und auch im Artikel 3 des Grundgesetzes, dem Antidiskriminierungsverbot unserer Verfassung, sind queere Menschen nicht explizit genannt. In Bayern werden nicht-binäre Menschen mit dem sogenannten „Genderverbot“ in Schulen und Behörden faktisch diskriminiert. Und viele Eltern sehen sich Angriffen ausgesetzt, wenn sie ihre Kinder ohne Zwänge bei der eigenen Identitätsfindung begleiten wollen. Es muss sich also noch viel tun, wenn wir alle in einer Gesellschaft leben wollen, in der wir sicher, frei und selbstbestimmt leben können, unabhängig von unserer sexuellen oder geschlechtlichen Identität.

SW: Wie sicher sind CSDs in Bayern derzeit – auch im Lichte jüngster queerfeindlicher Angriffe? Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für diese Gewalt und was bedeuten solche Entwicklungen für die queere Sichtbarkeit und das Sicherheitsgefühl der Community?

MA: Tagtäglich werden queere Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen (LSBTIQ*) in Gewalt ausleben. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen. Gründe dafür sind meist eigene Unsicherheiten, Scham, Unwissenheit, Vorurteile und natürlich auch gezielte Stimmungsmache.

Hassgewalt geht fast ausschließlich von Männern aus. Laut den Zahlen von Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerium wurden 1.765 Fälle im Bereich „sexuelle Orientierung“ und 1.152 Fälle im Bereich „geschlechtsbezogene Diversität“ gemeldet (dazu www.lsvd.de/de/ct/3958-Alltag-Queerfeindliche-Gewaltvorfaelle-in-Deutschland). Das bedeutet einen Anstieg von Vorfällen gegen lesbische, schwule, bisexuelle und queere Menschen um etwa 18% und gegen trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen um etwa 35%. Laut Expert*innen werden etwa 80 Prozent aller queerfeindlichen Straftaten nie bei der Polizei angezeigt. Aber allein die dokumentierten Straftaten in Bayern und auch die Beratungs- und Fallzahlen von zivilgesellschaftlichen Anlaufstellen zeigen deutlich: Der Schutzbedarf ist real.

Allein 2024 wurden über 55 CSDs durch rechtsextreme und neofaschistische Gruppen angegriffen. Beispiele wie Regensburg, Landshut oder Bautzen machen deutlich, dass Polizeibehörden und kommunale Verwaltungen sehr unterschiedlich für die aktuelle Bedrohungslage rund um CSDs sensibilisiert sind. In manchen Fällen gibt es eine vorbildliche Entschärfung der Gesamtsituation, in anderen Orten lässt man es auf einzelne Eskalationen ankommen. Viele Teilnehmer*innen treffen vermehrt eigene Sicherheitsvorkehrungen. Die Tatsache, dass auch in kleineren Orten immer mehr CSDs auf die Beine gestellt werden, zeigt mir aber, dass wir uns als queere Community nicht mehr verstecken wollen und bereit sind für unsere Freiheit zu kämpfen.

SW: Welche politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen braucht es aus Ihrer Sicht, um CSDs – insbesondere im ländlichen Raum – besser zu schützen? Reicht die bisherige Reaktion auf queerfeindliche Angriffe aus?

MA: In Bayern war politisch lange Zeit umstritten, ob es hier überhaupt queere Menschen gibt. Jetzt wo wir das geklärt haben, wird politisch darüber gestritten, wie ernst man die Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen in Bayern nehmen will. Aus meiner Sicht zählt dazu, dass Bayern als letztes Bundesland in ganz Deutschland endlich einen Landesaktionsplan gegen Queerfeindlichkeit beschließen und umsetzen muss. Bisher ist ein Beginn für 2026 angekündigt, aber weder die genauen Inhalte noch die Finanzierung des Ganzen sind klar. Wir fordern, dass die Staatsregierung eine wirksame Strategie erarbeitet, die Queerfeindlichkeit dort bekämpft, wo sie entsteht, nämlich in der Bildungslaufbahn und medial. Nur durch gute queere Bildungsarbeit in Stadt und Land können Feindlichkeiten frühzeitig bekämpft werden. Und auch die Beteiligung queerer Menschen an Bayerns Medienlandschaft ist wichtig, denn Medien tragen maßgeblich zur Sozialisierung und Wahrnehmung der Welt bei. Wir setzen uns deshalb auch für einen Sitz für LSBTIQ* im Rundfunkrat des BR und im Medienrat der BLM ein. Das ist auch eine Frage von demokratischer Teilhabe.

2023 haben wir bereits einen zivilgesellschaftlichen Entwurf für einen solchen Plan vorgelegt und fordern, dass die Maßnahmen auch im finalen Aktionsplan verankert sind. Eine Forderung in diesem Katalog ist auch, dass Bayern ein Landesantidiskriminierungsgesetz beschließt und eine eigene unabhängige Landesantidiskriminierungsstelle aufbaut. Das würde nicht nur den Diskriminierungsschutz für alle Bürger*innen nahbarer machen und stärken, sondern auch bestehende Antidiskriminierungsarbeit massiv entlasten, die bisher vor allem ehrenamtlich geleistet wird.

SW: Vielen Dank, Markus Apel für das Gespräch.


Wir sind Bayerns größter Zusammenschluss aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie Religionsgemeinschaften, um unsere Demokratie und die Achtung der Menschenwürde zu stärken und Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen.


Neueste Artikel