Entstehung
Der vereitelte Bombenanschlag
Der Impuls zur Gründung des „Bayerischen Bündnisses für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ geht auf die Ereignisse rund um den 9. November 2003 zurück. An diesem 65. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 stand München am Beginn eines Neuanfangs. Der Grundstein für das neue jüdische Kulturzentrum mit der Ohel-Jakob-Synagoge sollte gelegt werden. Im Beisein von 600 nationalen und internationalen Gästen. „Für die jüdische Gemeinschaft“, erinnert sich Charlotte Knobloch, „war und ist es ein historischer Tag, mit dem ihre Rückkehr ins Herz der Landeshauptstadt begann. Ein Traum sollte wahr werden. Wir hatten allen Grund zu größter Freude.“ Dass dieser Tag zu einem zukunftsweisenden Festtag wurde, war allerdings nur möglich, weil die Pläne der rechtsextremistischen Vereinigung „Kameradschaft Süd“ rechtzeitig von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt wurden. Sie hatte ein Bombenattentat bei der Grundsteinlegung geplant. Es wäre ein nicht zu überbietendes politisches Fanal gewesen.
von links: Fritz Schösser (Deutscher Gewerkschaftsbund Landesbezirk Bayern), Friedrich Kardinal Wetter (Römisch-Katholische Kirche, Erzbistum München Freising), Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (Evang.-Luth. Kirche in Bayern), Innenminister Dr. Günther Beckstein (Bayerisches Staatsministerium des Innern)
Eine Idee nimmt Gestalt an
Ausgehend von diesen Ereignissen nahm auf Anregung des seinerzeitigen Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Johannes Friedrich, die Idee zur Gründung eines „Bayerischen Bündnisses für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ Gestalt an. Am 3. Juni 2005 fand in seinem Büro die konstituierende Sitzung statt unter Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern, des Bayerischen Gemeindetags, des Bayerischen Landes-Sportverbands e.V., des Bayerischen Landkreistags, des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, des Bayerischen Städtetags, des DGB Bayern, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Freisinger Bischofskonferenz, der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, des Landesverbands Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern, des Verbands der Bayerischen Bezirke, des Verbands der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern e.V. und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.
Anliegen und Ziel
Vereinbart wurde in dieser Sitzung die Erstellung eines ersten Textes, der Anliegen und Ziel des Bündnisses beschreiben sollte, mit der Federführung wurden die beiden Kirchenvertreter Landesbischof Johannes Friedrich und der Erzbischof von München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter, betraut. Am 28. Juni 2005 wurde dieser Text den Gründungsmitgliedern übermittelt und angenommen. Darin heißt es unter anderem:
Das staatliche Toleranzprinzip
„Die Grundrechte der Verfassung beruhen auf dem Eingangsartikel: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‘ (GG Art. 1,1) Auf diesem Artikel beruht auch das staatliche Toleranzprinzip, das ein friedliches Zusammenleben von Bürgern unterschiedlicher weltanschaulicher und politischer Meinung sichert, einen fairen, am Interessenausgleich orientierten Meinungsaustausch garantiert und Minderheitenrechte wahrt. Das staatliche Toleranzprinzip trägt nur dann, wenn es im Bewusstsein der Bürger lebendig bleibt und in der öffentlichen Auseinandersetzung engagiert und umfassend vertreten wird. Dies ist besonders in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit notwendig. Politische Gruppen oder Parteien mit politisch extremer Programmatik und Zielsetzung nutzen diese Unsicherheit, um Ressentiments und Vorurteile zu schüren und letztlich eine Ablehnung des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates zu bewirken.
Rechtsextreme Propaganda
Dazu gehören in letzter Zeit besonders der politische Rechtsradikalismus und in seinem Gefolge versteckte und offene Formen des Antisemitismus. Extremistische politische Parolen fallen vor allem bei solchen Menschen auf fruchtbaren Boden, die dafür durch mangelnde Aufklärung, fehlende geistige Orientierung oder auch durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und damit verbundene persönliche Probleme besonders empfänglich sind. Auf diese Menschen, insbesondere auf Jugendliche, richtet sich die Propaganda rechtsextremer Gruppen und Parteien. Sie verfügen dabei sowohl über ein umfangreiches Netz publizistischer Mittel, und sie engagieren sich nicht nur im politischen, sondern auch im vorpolitischen Raum.“
Aufklärung und geistige Orientierung
Dieser Entwicklung wolle nun ein „Bayerisches Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ wirksam entgegentreten. „Ziel dieses Bündnisses ist es, im Bereich des Freistaates Bayern Impulse zu geben und Projekte zu unterstützen, die im Sinne der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung Aufklärung und geistige Orientierung bewirken und so das Potential des politischen Rechtsradikalismus abbauen können.“
Die Öffentlichkeit wird informiert
Am 14. Juli 2005 wurde das „Bayerische Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ dann im Rahmen eines Pressegesprächs der Öffentlichkeit vorgestellt. Landesbischof Johannes Friedrich betonte bei diesem Pressetermin: „Gemeinsam mit allen aufrechten und verantwortungsbewussten Demokraten wollen wir allen rechtsextremistischen, rassistischen und antisemitischen Tendenzen entgegentreten und für unser demokratisches und werteorientiertes Gemeinwesen werben. Die Grundfesten unserer Demokratie sind stabil. Helfen Sie mit, dass es dabei bleibt!“
Die Liste der Träger des Bündnisses hatte sich in einer begleitenden Pressemitteilung vom 14. Juli 2005 zu diesem Zeitpunkt bereits erweitert. Hinzugekommen waren der Bayerische Elternverband e.V., der Bayerische Philologenverband, der Bayerische Jugendring und der Verband der Bayerischen Zeitungsverleger e.V.
Eine weitere Pressemitteilung vom 11. Dezember 2006 stellte dann in Aussicht: „In gemeinsamem Bemühen wollen die Bündnispartner im kommenden Jahr im oberfränkischen Wunsiedel eine Projektstelle gegen Rechts[extremismus] errichten, deren Aufgabe die Unterstützung einer bayernweiten Vernetzung von Aktivitäten aller Art für Menschen aller Herkunft und Altersgruppen sein soll. Die meisten der 20 Mitglieder aus zentralen Bereichen des politischen, gesellschaftlichen, kirchlichen und wirtschaftlichen Lebens in Bayern werden sich an der Finanzierung einer solchen Stelle auf drei Jahre beteiligen. Auch die Stadt Wunsiedel, die sich in den letzten Jahren erfolgreich gegen alljährlich dort stattfindende braune Aufmärsche zur Wehr setzt, wird an der Finanzierung beteiligt sein.“
2007 wurde dann in der Tat vom „Bayerischen Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ eine „Projektstelle gegen Rechtsextremismus“ eingerichtet. Und sie wird dankenswerterweise über den zunächst anvisierten Zeitraum von drei Jahren hinaus bis heute von den Bündnismitgliedern auch finanziell getragen – allerdings nicht in Wunsiedel, sondern im nahegelegenen „Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad“.
Bayerns größter Zusammenschluss …
Heute ist das „Bayerische Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ mit rund 100 Mitgliedern zum größten Zusammenschluss aus staatlichen, zivilgesellschaftlichen und religionsgemeinschaftlichen Akteuren geworden.
Eine Erfolgsgeschichte? „Ganz sicher“, so Charlotte Knobloch, „wenn man sich ansieht, auf welch breiten Schultern das Bündnis inzwischen ruht. Und doch: Der Rechtsextremismus bedroht unsere Demokratie wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik und sitzt in Fraktionsstärke in unseren Parlamenten. Jüdische Menschen leben wieder in Angst wie seit dem Holocaust nicht mehr. Judenhass gehört zu den konstitutiven Elementen des neuen rechtsradikalen, autoritären Nationalismus, der sich in dieser feindseligen Haltung gegen Juden mit Linksextremen und Islamisten einig weiß.“
Den in der Gründungsphase formulierten Zielen ist das Bayerische Bündnis für Toleranz jedenfalls treu geblieben, im Bereich des Freistaates Bayern Impulse zu geben und Projekte zu unterstützen, die im Sinne der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung Aufklärung und geistige Orientierung bewirken und so das Potential des politischen Rechtsradikalismus abbauen können. Dieser Auftrag ist heute wichtiger denn je.