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Drei Fragen an …

13. Januar 2025

Interview zur anstehenden Bundestagswahl mit Prof. Dr. Edgar Grande, Politikwissenschaftler und Gründungsdirektor emeritus des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Philipp Hildmann: Die politische Entwicklung in Österreich wirft ihre Schatten auch auf den aktuellen Bundestagswahlkampf. Was sollten/können die Parteien insbesondere der politischen Mitte bei uns besser machen und wo sehen Sie Warnsignale?

Edgar Grande: Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos und der anschließende Auftrag zur Regierungsbildung an den Vorsitzenden der radikalen rechtspopulistischen FPÖ Herbert Kickl zeigen eines ganz deutlich: Wenn die demokratischen Parteien nicht zur Zusammenarbeit bereit sind, dann nutzt das in erster Linie ihren populistischen Herausforderern. Das sollte uns auch in Deutschland zu denken geben. Die Zeiten, in denen das deutsche Parteiensystem von zwei großen „Volksparteien“ der Mitte beherrscht wurde, sind längst vorbei. Die Parteienlandschaft ist inzwischen nicht nur viel fragmentierter, sondern auch stärker polarisiert. Die Bildung stabiler Regierungskoalitionen wird dadurch erheblich erschwert. Das haben wir zuletzt an den mühsamen Regierungsbildungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit ihren ungewöhnlichen Koalitionen gesehen.

Es zeichnet sich ab, dass es nach der kommenden Bundestagswahl auch im Bund nur sehr wenige Koalitionsmöglichkeiten zwischen den demokratischen Parteien geben wird. Vor diesem Hintergrund ist die wahlkampftaktische Dämonisierung von Parteien und Kandidaten aus meiner Sicht höchst bedenklich. Denn dadurch wird eine Regierungsbildung zwischen den demokratischen Parteien erschwert und die ohnehin schwierige Arbeit einer künftigen Regierung zusätzlich belastet. Das schadet allen Parteien! Es sollte uns sehr zu denken geben, dass in einer aktuellen Forsa-Umfrage die Hälfte der Befragten angegeben hat, dass sie keiner Partei politische Kompetenz zutraut.

Durch einen Wahlkampf, der auf die Dämonisierung von politischen Gegnern abzielt, werden jedoch nicht nur die Parteien weiter beschädigt. Darunter kann auch das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit der Politik insgesamt und nicht zuletzt die Stabilität der Demokratie leiden.

Auch unabhängig vom aktuellen Wahlkampf konstatieren Sie in Ihren Forschungen ein abnehmendes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die etablierten Parteien. Woran liegt das?

Wir stellen in Deutschland inzwischen einen Rückgang des politischen Vertrauens und ein erhebliches Vertrauensdefizit fest. Davon sind alle politischen Institutionen betroffen, besonders stark die politischen Parteien. Eine Umfrage des RTL-Trendbarometers hat bereits vor zwei Jahren ergeben, dass den politischen Parteien weniger als 20 Prozent der Befragten vertrauen; in Ostdeutschland waren es gerade noch 11 Prozent. Die Folgen dieses Vertrauensverlustes können wir seit Jahren beobachten: Rückläufige Mitgliederzahlen bei den „Volksparteien“, lange Zeit einen Rückgang der Wahlbeteiligung und ein immer größeres Repräsentationsdefizit von Parlamenten. Zur Verdeutlichung: Derzeit sind im Deutschen Bundestag 31 Prozent der Wahlberechtigten politisch nicht repräsentiert, sei es, weil sie sich nicht an der Wahl beteiligt haben, sei es, weil die von ihnen gewählte Partei den Einzug in das Parlament nicht geschafft hat. Bei der Bundestagswahl 1972 waren es noch 10 Prozent gewesen. Kurz gesagt: Die etablierten politischen Parteien tun sich immer schwerer, die Bürger zu aktivieren, zu mobilisieren und zu repräsentieren.

Auch das Vertrauen in Regierung und Parlament hat gelitten. In unseren Umfragen zum politischen Vertrauen in Deutschland haben wir eine gravierende Vertrauenslücke gefunden: Jeder fünfte Befragte hat keinerlei Vertrauen mehr in Regierung und Parlament – und das unabhängig davon, ob die Regierung von der CDU oder der SPD geführt wird. Dieser Vertrauensverlust betrifft im Übrigen auch die Landesparlamente.

Die Entwicklung des politischen Vertrauens wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Sein Rückgang in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland legt nahe, dass die Regierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den verschiedenen Krisen – der sogenannten „Flüchtlingskrise“, der Corona-Pandemie und der „Energiekrise“ – dabei eine Rolle spielen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der OECD zeigt, dass durch die Corona-Pandemie und die Pandemiemaßnahmen das politische Vertrauen in allen entwickelten Industrieländern zurückgegangen ist. Das sollte uns zu denken geben. Dieser Vertrauensverlust ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für jedes ambitionierte Regieren – welche Parteien auch immer die Regierung stellen.

Zahlreiche Mitglieder des Bayerischen Bündnisses für Toleranz zählen zum vorpolitischen Raum. Welche Bedeutung kommt diesem vorpolitischen Raum im aktuellen Ringen um die Zukunft unserer freiheitlichen Demokratie zu? Wie könnte Vertrauen zurückgewonnen werden und welche konkreten/neuen Akzente würden Sie sich von dieser Ebene im Blick auf die Wahl am 23. Februar noch wünschen?

Der vorpolitische Raum, zu dem ja nicht zuletzt eine vitale Zivilgesellschaft zählt, ist für eine lebendige Demokratie grundsätzlich von größter Bedeutung. Angesichts der zunehmenden politischen Konflikte und Polarisierungen, die die Demokratie derzeit gefährden, kommt es auf die Zivilgesellschaft noch mehr an, als dies immer schon der Fall war. Ich sehe in diesem Zusammenhang vor allem zwei Aufgaben, zu denen die Zivilgesellschaft einen großen Beitrag leisten kann und ich würde es sehr begrüßen, wenn dasBayerische Bündnis für Toleranz sich dieser Aufgaben in den kommenden Wochen und Monaten annehmen würde.

Die erste Aufgabe besteht daran, die neuen Konflikte zu zivilisieren. Meines Erachtens kommt es angesichts der zahlreichen tiefgreifenden Konflikte vor allem darauf an, eine neue Streitkultur zu entwickeln, um eine weitere politische Radikalisierung und Polarisierung zu verhindern. Das ist nicht nur im aktuellen Wahlkampf wichtig, sondern auch in der Folgezeit und dabei spielt die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle. Sie kann ein Treiber der Polarisierung sein, wie man das in den USA beobachten kann, sie kann aber auch Brücken bauen und den Dialog zwischen gegensätzlichen politischen Lagern fördern. Gerade im vorpolitischen Raum kommt es darauf an, eine zivile öffentliche Debatte zwischen Gruppen mit verschiedenen, kontroversen Haltungen und Standpunkten zu organisieren. Hierzu kann das Bayerische Bündnis für Toleranz einen wichtigen Beitrag leisten!

Die zweite Aufgabe besteht darin, neues politisches Vertrauen zu schaffen und auch dabei kommt es auf die Zivilgesellschaft an. Wie die vorliegenden Studien zeigen, ist der Verlust politischen Vertrauens auch eine Folge der Intransparenz von politischen Entscheidungen und des Fehlens von Beteiligungsmöglichkeiten. Dies führt bei vielen Bürgern zu einem Gefühl der politischen Ohnmacht. Deshalb sind das Schaffen von Transparenz und das Eröffnen von Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger wichtige Ansatzpunkte, um neues politisches Vertrauen zu bilden. Angesichts des Vertrauensverlustes politischer Parteien spielen hierbei gerade der vorpolitische Raum und die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Dabei muss es gar nicht um politische Aktivitäten im engeren Sinn gehen. Wie der amerikanische Politikwissenschaftler Robert D. Putnam in seiner Studie zur Demokratie in Italien feststellte, ist gutes Regieren gewissermaßen ein Nebenprodukt von Gesangsgruppen und Fußballvereinen. Entscheidend ist das gemeinsame Handeln!

Sehr geehrter Herr Professor Grande, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Wir sind Bayerns größter Zusammenschluss aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie Religionsgemeinschaften, um unsere Demokratie und die Achtung der Menschenwürde zu stärken und Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen.


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